Wir können diesen Text damit beginnen, einerseits anzuerkennen, dass die häufigste Form des Beginns der Alzheimer-Krankheit (AK) durch einen frühen und ausgeprägten Abbau des episodischen Gedächtnisses im Vergleich zu den übrigen kognitiven Funktionen gekennzeichnet ist und andererseits, dass das neuropsychologische Profil eines Patienten mit Alzheimer-Demenz im leichten bis moderaten Stadium – bei gewissem interindividuellen Variationsspielraum – eine Kombination aus Defiziten im episodischen Gedächtnis, in der Benennung, bei getrennter und geteilter Aufmerksamkeit, in der semantischen Kategorisierung, im Arbeitsgedächtnis, in der Wortflüssigkeit, in der kognitiven Flexibilität, in der Selbstüberwachung und -kontrolle sowie in visuoperzeptiven, visuell-räumlichen und visuell-konstruktiven Fähigkeiten umfassen könnte. Dabei gilt als gesichert, dass sich mit dem Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit die Beeinträchtigung auf die Gesamtheit der Kognition ausweiten wird.
Nichtsdestotrotz wollen wir im heutigen Text einen Schritt zurückgehen und den Fokus auf die präklinische, prodrömische Phase und die leichte kognitive Beeinträchtigung (MCI) legen – Phasen, die im Bereich der Neuropsychologie aufgrund des großen Interesses und der Verantwortung, die eine frühe Diagnose der Alzheimer-Krankheit mit sich bringt, immer wichtiger werden.

Verzerrtes Bild der Alzheimer-Krankheit: amnestische kognitive Beeinträchtigung
Wenn wir von der Alzheimer-Krankheit sprechen, haben die meisten Menschen – ob nun Neuropsychologie-Experten oder nicht – die amnestische kognitive Beeinträchtigung vor Augen. Dies ist tief im kollektiven Bewusstsein verankert und, obwohl es zutrifft, spiegelt es auch ein verzerrtes und unvollständiges Bild der AK wider. Tatsächlich zeigt sich dieses Bias auch im wissenschaftlichen Bereich: Die meisten Studien, die sowohl die kognitiven Defizite als auch den Krankheitsverlauf in der präklinischen, prodrömischen Phase und bei MCI beschreiben, haben sich vor allem auf das Studium des episodischen Gedächtnisses (Mortamais et al., 2017) konzentriert.
„Atypische“ Formen der Alzheimer-Krankheit
Aber wenn man den Untersuchungsfokus darüber hinaus ausweitet, wurden auch andere „atypische“ Formen der AK erfasst und klassifiziert, die sich durch sehr frühe Defizite in Aufmerksamkeit, Exekutivfunktionen, Sprache oder Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit auszeichnen, was die kumulierte Evidenz für die phänotypische Heterogenität der AK, selbst in ihren frühesten Stadien, weiter stärkt (Twamley et al., 2006; McKhann et al., 2011; 2010; Hassenstab et al., 2015; Han et al., 2017; Schindler et al., 2017).
Ähnliches gilt für die visuoperzeptiven und visuell-räumlichen Funktionen, die zwar zu den am wenigsten untersuchten kognitiven Bereichen zählen, aber eine ebenso wichtige Rolle bei Diagnose und Krankheitsverlauf der AK spielen. Dieses geringere Interesse an den Gnosien steht zudem nicht im Einklang mit der Bedeutung, die ihre Beeinträchtigung für die funktionale Unabhängigkeit und Lebensqualität unserer Patienten haben kann. So können visuelle Agnosien die Fähigkeit eines Patienten negativ beeinflussen, weshalb er alltägliche Tätigkeiten – so relevante wie das Führen eines Fahrzeugs, Lesen und Schreiben, das Erkennen vertrauter Gesichter, das Auffinden von Produkten im Supermarkt, das Suchen eines Gegenstands in einer Schublade oder einem Schrank oder das korrekte Hineinlegen eines Kleidungsstücks – nicht mehr angemessen ausführen kann.
Visuell-räumliche Störungen
Wie gesagt, und trotz der wenigen Studien, die visuoperzeptive und visuell-räumliche Funktionen in den Mittelpunkt stellen oder zumindest einbeziehen, konnte man beobachten und Hinweise sammeln, dass einige Personen Zeichen von visuell-räumlichen Störungen zeigen, etwa Schwierigkeiten beim Kopieren einer Zeichnung, beim Einfügen von Teilen in zwei- oder dreidimensionale Muster oder Fehler in Untertests der räumlichen Wahrnehmung der Visual Object and Space Perception Battery (VOSP), bis zu fünf Jahre vor der AK-Diagnose, wobei diese visuell-räumlichen Defizite in manchen Fällen anderen kognitiven Beeinträchtigungen, einschließlich amnestischer Defizite, vorausgehen (Mandal et al., 2012; Schmid et al., 2013).
Visuoperzeptive Störungen
Bei den visuoperzeptiven Funktionen wurde Ähnliches beobachtet: Mittels Aufgaben zum visuellen Objekterkennen wie dem Test der 15 Objekte oder der VOSP wurden bei Personen in präklinischen und leichten Phasen der AK Anzeichen von aperzeptiver visueller Agnosie entdeckt (Norlund et al., 2005; Alegret et al., 2009; Quental et al., 2013).
Klinischer Wert visueller Agnosien
Zudem wissen wir – und nichts Neues –, dass eine einmal geschädigte kognitive Funktion einen progressiven und irreversiblen Abbau vollzieht. In diesem Sinne unterscheiden sich die visuoperzeptiven und visuell-räumlichen Funktionen nicht; interessant ist jedoch, dass anhand des Ausmaßes der Beeinträchtigung der höheren Verarbeitung visueller Informationen eine Gruppe von Personen als gesund, mit MCI oder mit leichter AK eingeteilt werden kann. Dem klinischen Wert der visuellen Agnosien als frühes diagnostisches Marker kommt also die Bedeutung hinzu, dass ihr Schweregrad und der Verlauf ihres Abbaus ein sensitiver Indikator für den Zustand und die Krankheitsprogression sein kann (Johnson et al., 2009; Alegret et al., 2009; Riley et al., 2010; Wilson et al., 2011; Quental et al., 2013; Salimi et al., 2018).
Was die neuroanatomischen Korrelate der AK angeht, so zeigt sich in sehr frühen Stadien der Alzheimer-Krankheit bereits eine Ansammlung von Beta-Amyloid-Protein und ein Hypometabolismus in medialen Temporallappenstrukturen wie dem perirhinalen und entorhinalen Cortex sowie der Hippocampusformation, und – was noch interessanter ist – parallel dazu auch in Regionen wie dem posterioren cingulären Cortex, dem inferioren Parietallappen, dem Precuneus und dem Gyrus angularis, die alle Teil des posterioren Netzwerkes des Default Mode Network sind.
Gut, wenn wir diese Befunde aus funktioneller Sicht der Gehirnkonnektivität analysieren, könnten wir erwarten, dass eine Hypokonnektivität zwischen den Knoten, die ein medial parieto-temporales Netzwerk bilden, oder der Verlust der Verbindung zwischen den dorsalen und ventralen Pfaden durch den cingulären Cortex dem Abbau der Fähigkeit zugrunde liegt, visuell-räumliche und visuoperzeptive Informationen in frühen Stadien der AK zu integrieren und zu verarbeiten (Alegret et al., 2010; Schmid et al., 2013; Jacobs et al., 2015; Dubois et al., 2016; Mortamais et al., 2017).
Visuelle Wahrnehmung bei der Alzheimer-Krankheit
Um das Thema einzugrenzen und zu konkretisieren: Aufgrund der genannten Daten wird die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass visuelle Wahrnehmungsdefizite als kognitiver Marker zur Erkennung oder Diagnose von Personen in der prodrömischen Phase und sogar in der präklinischen Phase der AK dienen können, und darüber hinaus, um über den Fortschritt oder die Verschlechterung der Krankheit in ihren verschiedenen Stadien zu informieren.
Wir dürfen jedoch nicht aus den Augen verlieren, dass die Prävalenz visueller Wahrnehmungsdefizite bei AK-Patienten auf 20 % bis 40 % geschätzt wird, was zeigt, dass das Fehlen dieser Defizite bei einem Patienten nicht zwangsläufig bedeutet, dass es sich nicht um einen AK-Fall handelt (Salimi et al., 2018).
Zusammenfassend zwingen uns solche Befunde, alte Schemata und vorgefasste Meinungen über die AK aufzubrechen und eine breitere Perspektive auf den möglichen klinischen Ausdruck dieser Erkrankung einzunehmen, da sie durch ein komplexes syndromales Bild gekennzeichnet ist, bei dem mehrere kognitive Funktionen jenseits des episodischen Gedächtnisses bereits zu Beginn eine wesentliche Rolle spielen können. Tatsächlich vertreten einige sogar die Ansicht, dass wenn der Gedächtnisverlust ein Indikator für AK ist, visuell-räumliche Defizite ein Markenzeichen der AK darstellen und dass ihr Einsatz als klinischer Marker die Spezifität der Krankheitsdiagnose erhöhen könnte (Mandal et al., 2012; Jacobson et al., 2009). Aber dies ist eine Möglichkeit; nur die Zeit und eine gründliche Untersuchung der höheren visuellen Funktionen werden Klarheit schaffen.
Melden Sie sich
für unseren
Newsletter an
Neuropsychologische Evaluation
Abschließend lässt sich bei Durchsicht der verfügbaren Literatur zur AK feststellen, dass es sich um eine sehr heterogene Erkrankung handelt, was – abgesehen von den individuellen Unterschieden – zwingt, nicht im Voraus anzunehmen, ob eine Beeinträchtigung eines kognitiven Prozesses vorliegt oder nicht.
Daher bedeutet dies im klinischen Alltag einer neuropsychologischen Sprechstunde zwangsläufig, dass kein einziges neuropsychologisches Rehabilitationsprogramm standardisiert, automatisch oder allgemein auf diese Patienten angewendet werden kann. Kurz gesagt, es gibt keine mobile App, Tablet-, Computer- oder Übungsheft-Lösung, nicht einmal eine Alltagsaufgabe, die man allen Patienten gleichermaßen empfehlen kann. Möglicherweise liegt hier die wichtigste Einschränkung gruppenbasierter neuropsychologischer Rehabilitationssitzungen.
Außerdem, da sich die Heterogenität der AK nicht nur auf das Spektrum der Symptome beschränkt, die ein Patient zu einem bestimmten Zeitpunkt zeigt, erfordert sie auch eine kontinuierliche Anpassung der Rehabilitation entsprechend dem progressiven kognitiven Abbau der Alzheimer-Krankheit. Das mag trivial klingen, doch man muss daran erinnern, dass man durch die Diagnose Alzheimer nicht automatisch eine ältere Person mit schwerer kognitiver Beeinträchtigung und starker Abhängigkeit in Alltagsaktivitäten ist.
In der Tat, wenn man ein neuropsychologisches Rehabilitationsprogramm durchführen will, bleibt nichts anderes übrig, als zuvor eine umfassende neuropsychologische Diagnose durchzuführen, den kognitiven Zustand unseres Patienten Prozess für Prozess zu analysieren, gezielt Interventionen vorzunehmen und die Kognition regelmäßig neu zu bewerten, um uns seiner Entwicklung anzupassen.
Literaturverzeichnis zum Artikel „Visuelle Wahrnehmung bei der Alzheimer-Krankheit“
- Alegret, M., Boada-Rovira, M., Vinyes-Junqué, G., Valero, S., Espinosa, A., Hernández, I., … & Tárraga, L. (2009). Detection of visuoperceptual deficits in preclinical and mild Alzheimer’s disease. Journal of clinical and experimental neuropsychology, 31(7), 860-867.
- Alegret, M., Vinyes-Junqué, G., Boada, M., Martínez-Lage, P., Cuberas, G., Espinosa, A., … & Mauleón, A. (2010). Brain perfusion correlates of visuoperceptual deficits in mild cognitive impairment and mild Alzheimer’s disease. Journal of Alzheimer’s Disease, 21(2), 557-567.
- Dubois, B., Hampel, H., Feldman, H. H., Scheltens, P., Aisen, P., Andrieu, S., … & Broich, K. (2016). Preclinical Alzheimer’s disease: definition, natural history, and diagnostic criteria. Alzheimer’s & Dementia, 12(3), 292-323.
- Han, S. D., Nguyen, C. P., Stricker, N. H., & Nation, D. A. (2017). Detectable neuropsychological differences in early preclinical Alz-heimer’s disease: A meta-analysis. Neuropsychology review, 1-21.
- Hassenstab, J., Monsell, S. E., Mock, C., Roe, C. M., Cairns, N. J., Morris, J. C., & Kukull, W. (2015). Neuropsychological Markers of Cognitive Decline in Persons With Alzheimer Disease Neuropatholo- gy. Journal of Neuropathology and Experimental Neurology, 74(11), 1086–1092. http://doi.org/10.1097/NEN.0000000000000254
- Jacobs, H. I., Gronenschild, E. H., Evers, E. A., Ramakers, I. H., Hofman, P. A., Backes, W. H., … & Van Boxtel, M. P. (2015). Visuospatial processing in early Alzheimer’s disease: A multimodal neuroimaging study. cortex, 64, 394-406.
- Jacobson, M. W., Delis, D. C., Peavy, G. M., Wetter, S. R., Bigler, E. D., Abildskov, T. J., … & Salmon, D. P. (2009). The emergence of cognitive discrepancies in preclinical Alzheimer’s disease: A six-year case study. Neurocase, 15(4), 278-293.
- Johnson, D. K., Storandt, M., Morris, J. C., & Galvin, J. E. (2009). Longitudinal study of the transition from healthy aging to Alzheimer disease. Archives of neurology, 66(10), 1254-1259.
- Mandal, P. K., Joshi, J., & Saharan, S. (2012). Visuospatial perception: an emerging biomarker for Alzheimer’s disease. Journal of Alzheimer’s Disease, 31(s3), S117-S135.
- McKhann, G. M., Knopman, D. S., Chertkow, H., Hyman, B. T., Jack Jr, C. R., Kawas, C. H., … & Mohs, R. C. (2011). The diagnosis of dementia due to Alzheimer’s disease: Recommendations from the National Institute on Aging-Alzheimer’s Association workgroups on diagnostic guidelines for Alzheimer’s disease. Alzheimer’s & dementia, 7(3), 263-269.
Weitere Literatur
- Mortamais, M., Ash, J. A., Harrison, J., Kaye, J., Kramer, J., Ran-dolph, C., … & Ritchie, K. (2017). Detecting cognitive changes in preclinical Alzheimer’s disease: A review of its feasibility. Alzhei-mer’s & Dementia, 13(4), 468-492.
- Quental, N. B. M., Brucki, S. M. D., & Bueno, O. F. A. (2013). Visuospatial function in early Alzheimer’s disease—the use of the Visual Object and Space Perception (VOSP) battery. PLoS One, 8(7), e68398.
- Salimi, S., Irish, M., Foxe, D., Hodges, J. R., Piguet, O., & Burrell, J. R. (2018). Can visuospatial measures improve the diagnosis of Alzheimer’s disease? Alzheimer’s and Dementia: Diagnosis, Assessment and Disease Monitoring, 10, 66–74. https://doi.org/10.1016/j.dadm.2017.10.004
- Schindler, S. E., Jasielec, M. S., Weng, H., Hassenstab, J. J., Grober, E., McCue, L. M., … & Fagan, A. M. (2017). Neuropsychological measures that detect early impairment and decline in preclinical Alzheimer disease. Neurobiology of aging, 56, 25-32.
- Schmid, N. S., Taylor, K. I., Foldi, N. S., Berres, M., & Monsch, A. U. (2013). Neuropsychological signs of Alzheimer’s disease 8 years prior to diagnosis. Journal of Alzheimer’s Disease, 34(2), 537-546.
- Riley, K. P., Jicha, G. A., Davis, D., Abner, E. L., Cooper, G. E., Stiles, N., … & Schmitt, F. A. (2011). Prediction of preclinical Alzheimer’s disease: longitudinal rates of change in cognition. Journal of Alzheimer’s Disease, 25(4), 707-717.
- Twamley, E. W., Ropacki, S. A. L., & Bondi, M. W. (2006). Neuro-psychological and neuroimaging changes in preclinical Alzheimer’s disease. Journal of the International Neuropsychological Society : JINS, 12(5), 707–735. http://doi.org/10.1017/S1355617706060863
- Wilson, R. S., Leurgans, S. E., Boyle, P. A., & Bennett, D. A. (2011). Cognitive decline in prodromal Alzheimer disease and mild cognitive impairment. Archives of neurology, 68(3), 351-356.
Das könnte Sie interessieren:
Dieser Artikel wurde übersetzt; Link zum Originalartikel auf Spanisch:
La percepción visual en la enfermedad de Alzheimer
Schreiben Sie einen Kommentar