Das Gebiet der Wahrnehmung ist eines der vielfältigsten Felder der Neurowissenschaften aufgrund der großen Anzahl von Sinnen, die im Tierreich existieren. Abgesehen von den klassischen fünf Sinnen: Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Tasten; gibt es noch viele weitere wie die Propriozeption (die Fähigkeit, die Körperhaltung wahrzunehmen), die Thermozeption (Temperaturwahrnehmung) oder die Nozizeption (die alle nervösen Strukturen umfasst, die für die Schmerzwahrnehmung verantwortlich sind). Doch darüber hinaus existieren noch faszinierendere neurophysiologische Fähigkeiten. Dr. Pablo Barrecheguren, Doctor der Biomedizin, erklärt, was Magnetorezeption ist, wie sie funktioniert und welche Beziehung der Mensch zu diesem Sinn hat.
Was ist Magnetorezeption?
Die Fähigkeit, Magnetfelder wahrzunehmen, oder Magnetorezeption, ist einer der in den letzten Jahren am intensivsten erforschten Sinne. Zwar befinden sich Untersuchungen am Menschen noch in einem frühen Stadium, doch Studien an Tieren haben die Existenz dieses Sinnes bei einigen Lebewesen nachgewiesen.
Anfänglich konzentrierten sich viele dieser Studien auf Zugtiere, da das Erdmagnetfeld weltweit variiert und theoretisch als Orientierungsmethode dienen könnte.
Erste Untersuchungen: Aquatische Routen
Zunächst gehören zu den ersten veröffentlichten Arbeiten solche, die die Wasserwanderungsrouten der Unechten Karettschildkröten untersuchten. Dieses Meerestier legt eine kreisförmige Zugroute zurück, die sich über tausende Kilometer unter Wasser von der Ostküste Floridas bis durch das Sargassomeer erstreckt. Um zu prüfen, ob die Schildkröten das Erdmagnetfeld zur Orientierung nutzen, wurden sie beim Schwimmen unterschiedlichen Magnetfeldern ausgesetzt und es zeigte sich, dass die Tiere die Richtung ihres Schwimmens entsprechend dem angewandten Magnetfeld änderten.
Heutzutage wissen wir, dass es mindestens fünfzig Tierarten aus den Bereichen Reptilien, Amphibien, Säugetiere, Fische, Krebstiere und Insekten gibt, die über eine Form der Magnetorezeption verfügen.
Wie Magnetorezeption funktioniert
Nachdem die Existenz der Magnetorezeption entdeckt wurde, war der nächste Schritt herauszufinden, wie dieser Sinn funktioniert. Jeder Sinn beruht auf molekularen Strukturen, die auf den Reiz reagieren, und einem Nervensystem, das diese Reaktion verarbeiten kann. So reagieren beispielsweise die Photorezeptoren in unserer Netzhaut auf Licht, indem sie Teile unseres Kortex im Gehirn stimulieren, und das führt zu unserem Sehsinn.
Kryptochrome
Bei der Magnetorezeption sind Kryptochrome eine Proteinfamilie, die große Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat: Es handelt sich um Systeme, die Licht aufnehmen können. Sie sind allgemein im Tierreich weit verbreitet (sowohl bei Wirbeltieren als auch bei Wirbellosen) und manche von ihnen spielen eine wichtige Rolle bei der Regulierung der zirkadianen Rhythmen.
Mehreren Studien zufolge ist beispielsweise das Kryptochrom 4 (Cry4) bei der Magnetorezeption von Vögeln von Bedeutung, und man glaubt, dass es ihnen erlaubt, Magnetfelder „zu sehen“, da es in der Netzhaut dieser Tiere in großer Menge vorkommt.
Die Verbindung zwischen Sehen und Magnetorezeption ist ziemlich komplex, denn man geht davon aus, dass Licht erforderlich ist, um die Magnetorezeption zu aktivieren. Tatsächlich gibt es Experimente, in denen durch Veränderung der Lichtbedingungen die Orientierungsfähigkeit des Zebrafinken (auch Mandarinfink genannt) beeinflusst wird.
Menschen und Magnetorezeption
All diese Arbeiten entschlüsseln nach und nach die Funktionsweise der Magnetorezeption, doch eine große Frage bleibt offen: Sind wir Menschen in der Lage, Veränderungen im Erdmagnetfeld wahrzunehmen? Es gibt kaum Forschungsergebnisse zu diesem Thema. In einer vor einigen Monaten veröffentlichten Studie wurden Personen in einen magnetfeldfreien Bereich gebracht, einem Magnetfeld mit erdähnlicher Intensität ausgesetzt und danach die Ausrichtung dieses Feldes geändert. Das Ergebnis war, dass bei einigen Versuchspersonen Veränderungen im Muster bestimmter Gehirnwellen beobachtet wurden.
Man muss diese vorläufigen Ergebnisse jedoch mit großer Vorsicht betrachten, da erstens sehr wenig veröffentlichte Informationen zu diesem Thema existieren, und zweitens berücksichtigt werden muss, dass – da die Magnetorezeption bei so vielen Lebewesen vorhanden ist – diese Reaktion möglicherweise auf das Vorhandensein eines Atavismus des magnetorezeptiven Sinnes zurückzuführen ist, den Homo sapiens sapiens möglicherweise nie vollständig entwickelt hat (oder im Verlauf der Evolution verloren ging).
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Quellen
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Dieser Artikel wurde übersetzt; Link zum Originalartikel auf Spanisch:
¿Qué es la magnetorecepción? El ser humano y la magnetorecepción
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